Vom Bauchkribbeln zur Selbstständigkeit: Die ersten Monate in der Lehre

Der erste Arbeitstag in der Lehre - eine Mischung aus Nervosität und Neugier. Die Realität übertrifft die Erwartungen: Herzlicher Empfang, Unterstützung und neue Freundschaften prägen die Anfangszeit. Drei Monate später sind die Lernenden stolz auf ihre Fortschritte.

Wie sind die Lernenden in ihre Lehre gestartet?  

Auf die Frage, wie sich die Lernenden am ersten Arbeitstag gefühlt haben, lautet die Antwort einstimmig: «nervös». Verständlich, der neue Lebensabschnitt bringt viel Unbekanntes und Neues. Umso schöner, berichten die meisten Lernenden, dass ihre Erwartungen übertroffen wurden – sie seien herzlich empfangen worden, hätten viel Unterstützung erhalten, viele nette Leute und Mitlernende kennengelernt und sind sehr zufrieden mit ihrem Team. Auch wenn die vielen neuen Gesichter und – je nach Arbeitsort – das riesige Gebäude anfangs überwältigend wirken und es Zeit braucht, sich zurecht zu finden und sich die Namen der Teammitglieder und Mitlernenden zu merken. 

Je nach Kanton hat die Berufsfachschule erst 1-3 Wochen nach dem ersten Arbeitstag gestartet und die erste Zeit «nur» zu arbeiten, kommt gut an. Sie erlaubt einen schrittweisen Start in den neuen Lebensabschnitt. Drei Monate nach ihrem Lehrstart berichten die Lernenden, stolz zu sein auf ihre Entwicklungen und langsam, aber sicher in der Berufswelt angekommen zu sein.  

Was sind die grössten Herausforderungen in den ersten Monaten?  

Die Lernenden nennen die Planung als wichtigsten Erfolgsfaktor und gleichzeitig grösste Herausforderung. An allen Lernorten häufen sich Termine, Deadlines und Aufgaben – diese sind zudem auf unterschiedlichen Plattformen und via unterschiedliche Kanäle ersichtlich. Alles auf einer To-Do-Liste zusammen zu tragen und nichts zu verpassen, ist daher nicht ganz einfach. Vor allem, wenn man es aus der Schulzeit gewohnt war, dass die Lehrperson die Termine ebenfalls kannte und bei Bedarf auch mal daran erinnern konnte. Als Startpunkt hilft ein Wochenplan. Nächste Challenge: Diesen konsequent einzuhalten. Während früher ein kürzerer Planungshorizont gereicht hat, muss in der Lehre meistens mehr als nur eine Woche vorausgeplant werden.   

Viele Lernende erinnern sich zurück, anfangs bei den vielen Fachbegriffe und Abkürzungen nur «Bahnhof» verstanden zu haben. Verständlich, die wenigsten Jugendlichen sind vor der Lehre schon viel mit Versicherungsthemen und -Begriffen in Kontakt gekommen. Das Erfolgsrezept: Alles aufschreiben. Aber wo und wie? In einem physischen Notizbuch oder lieber elektronisch im OneNote? Worauf die Auswahl schlussendlich fällt, ist eine Frage der Präferenz und die meisten Lernenden berichten mittlerweile, die für sie passende Variante gefunden zu haben.  

Was sind die Highlights der ersten Monate?  

Die Antwort auf die Frage kommt von den meisten Lernenden spontan: «So viele neue Mitlernende kennenzulernen». Je grösser der Lehrbetrieb, desto mehr andere Lernende starten gemeinsam in die Lehre. Durch Teams- und Whatsapp-Chats helfen sich die Lernenden gegenseitig und sind mit ihren Fragen nie alleine. Anfangs nimmt die Erledigung von Tagesaufgaben noch viel Zeit in Anspruch, weil Notizen nochmals studiert, oder der Ausbildner nochmals gefragt werden muss. Schon nach kurzer Zeit berichten die Lernenden aber von sichtbaren Fortschritten und damit verbundenen Erfolgserlebnissen. Natürlich macht auch der erste eigene Lohn stolz und vermittelt das Gefühl von zunehmender Selbstständigkeit. Man fühlt sich langsam erwachsen. Wenn Lernende abends stolz ihren Eltern erzählen können, was sie im Büro erlebt haben und welche Meetings sie hatten, macht das zusätzlich stolz.   

Was ändert sich mit Eintritt in die Lehre?    

Sehr vieles, zum Beispiel der Mittwochnachmittag, welcher nicht mehr frei ist und generell weniger Freizeit zu haben. Einige Lernenden berichten, sich einen Wochenplan erstellt zu haben, damit sie Hobbys, Freunde und Lernen unter einen Hut bringen.  

Dafür sind die Tage bei der Arbeit flexibler und meist abwechslungsreicher. Während in der Oberstufe die Tage gemäss definiertem Stundenplan abliefen, sind Arbeitstage dynamischer. Spontane Meetings kommen dazu, geplante Meetings werden abgesagt oder verändert – der Outlook-Kalender wird je nach Einsatzort zu einem wichtigen Planungstool.  

Während man in der Oberstufe von Gleichaltrigen umgeben war, befinden sich Lernenden nun im Erwachsenenumfeld und sind meistens die Jüngsten im Team. Seine Kommunikation dem Gegenüber anzupassen, kann anfangs herausfordernd sein. Viele Jugendliche haben gelernt, dass man Erwachsenen «Sie» sagt, weil das Respekt beweist. In den meisten Lehrbetrieben sagt man sich aber «Du», unabhängig von Alter und Hierarchie. Höflichkeit kann stattdessen ausgedrückt werden, indem die Wortwahl dem Gegenüber angepasst wird. Das funktioniert schnell – die Lernenden berichten, mit ihren Teammitgliedern und Ausbildnerinnen anders zu sprechen als mit Mitlernenden.  

Wie unterscheidet sich die Berufsfachschule von der Oberstufe?  

Schule ist nicht gleich Schule. Bereits nach wenigen Wochen berichten die Lernenden von vielen Unterschieden zwischen Berufsfachschule und Oberstufe. Am meisten fällt auf, dass Lehrpersonen und Schülerinnen sich nun gegenseitig Siezen. Die meisten müssen sich erstmals daran gewöhnen, dass sie von ihrer Lehrperson mit «Sie» angesprochen werden. Weiter geht es mit den Büchern: Physische Bücher gibt es in Berufsfachschulen kaum mehr, die meisten Lehrmittel sind elektronisch und werden auf dem eigenen Gerät verwendet, es gilt «bring your own device». Einige Lernende finden das toll, weil die Schultasche leichter ist, andere wünschen sich Bücher in Papierform zurück.  

In der Berufsfachschule sind Notizen das A und O, um nichts zu verpassen. Das Tempo im Berufsfachschulunterricht ist schneller als in der Oberstufe und die Prüfungen umfassen meistens mehr Unterrichtsstoff sowie komplexere Themen. Bei einigen Lernenden funktioniert die gewohnte Lernstrategie aus der Oberstufe weiterhin, viele Lernende merken aber, dass es neue Lernstrategien braucht. Während dem Unterricht Notizen zu machen ist essentiell, um am Ball zu bleiben und eine gute Basis für spätere Prüfungen zu haben.  

Welche Tipps haben Lernende für Jugendliche, die nächstes Jahr in ihre Lehre starten?   

Nicht zu viel Angst vor dem Lehrstart und dem neuen Lebensabschnitt zu haben und nicht zu streng mit sich selber zu sein. Vieles wird nicht von Anfang an sitzen und klar sein, Lernende dürfen Geduld mit sich selbst haben und sich Zeit geben – denn: Übung macht definitiv den Meister! 

Ein weiterer Tipp der Lernenden: Weniger schüchtern am Anfang zu sein. Viele Lernende wären rückwirkend gerne offener zu Teammitgliedern, was aber meistens einfacher gesagt ist als getan. Als Berufsbildnerinnen finden wir: Eine anfängliche Schüchternheit und Zurückhaltung sind absolut normal und legen sich meist mit der Zeit.

Tamara Saladin
Berufsbildnerin bei der Zurich Versicherung